#fantastischeFRAUEN

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Das Projekt #fantastischeFRAUEN widmet sich der Frage,
welchen Anteil Frauen an der deutschsprachigen Science-Fiction und Fantasy Literatur haben.
(Stand Oktober 2022)

1 Warum #fantastischeFRAUEN

Wer durch die Regale der Buchhandlungen streift, einschlägige Rezensionen liest oder sich die Literaturpreisträger*innen der letzten 40 Jahre ansieht, könnte den Eindruck bekommen, dass es nahezu keine (deutschsprachigen) Science-Fiction Autorinnen gibt.

Tatsächlich war es eine Kontroverse über die Vergabe der jährlichen SF Preise (Deutscher Science-Fiction Preis und Kurd-Laßwitz-Preis), die mich im Jahr 2021 dazu brachte, den Frauenanteil in der deutschsprachigen Science-Fiction-Literatur zu erforschen.

Die Ergebnisse dieser Recherche möchte ich hier vorstellen.

Für die Analyse wurden 3 verschiedene Datenquellen verwendet, auf die ich im Folgenden eingehen werde: die Datenbank von Christian Pree, die Daten der Libri GmbH und die Daten von Tolino Media.

2 tl;dr Ergebnisse

Die Analyse der Daten von original auf Deutsch erschienenen SF Werken von 2016 bis 2021 hat ergeben, dass der Frauenanteil (spätestens) seit 2019 über 22% liegt – je nach Quelldatenbank sogar deutlich darüber.

Während der Frauenanteil in der Sammlung von Christian Pree den Wert von 21,99% nie unterschreitet und relativ konstant bei durchschnittlich 23% liegt, hat der Frauenanteil bei Libri einen enormen Sprung gemacht. Waren 2018 nur 7, 58% der von Libri lieferbaren SF Werke von Frauen, stieg der Wert im Folgejahr um fast das Dreifache auf 22,73 %. Auch Tolino Media hat beim Frauenanteil zugelegt. Waren 2016 bereits 20,59% der Autor*innen Frauen, erreichte der Wert 2020 mit 40,51% sein bisheriges Hoch.

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass die Sammlung von Christian Pree pro Jahr zehn mal so viele SF Werte auflistet, wie Libri, bzw. Tolino Media anbieten.

Die Datenbank von Pree umfasst sowohl Romane und Heftromane als auch Kurzgeschichtenanthologien einzelner Autor*innen, während Libri nur Romane aus Publikumsverlagen (fast keine Kleinverlage) anbietet. Tolino Media hingegen ist eine Selfpublishing Plattform, die genau den Autor*innen die Möglichkeit zur Veröffentlichung bietet, die Ihre Werke ohne einen Verlag veröffentlichen wollen.

3 Diagramme

Quelle: Theresa Hannig nach Daten von  Christian Pree 2022

Quelle: Theresa Hannig nach Daten von Libri GmbH 2021

Quelle: Theresa Hannig nach Daten von Tolino Media 2022

4 Analyse

4.1  Datenbank von Christian Pree

4.1.1 Quelle

http://www.chpr.at

Christian Pree sammelt seit Jahren alles, was im deutschsprachigen Raum an Science-Fiction-Literatur erscheint. Für diese Bemühungen erhielt er 2007 den Kurd Laßwitz Preis für herausragende Leistungen im Bereich der SF (http://www.kurd-lasswitz-preis.de/2007/KLP_2007_Sonderpreis_Laudatio.htm).

Die von Christian Pree zur Verfügung gestellte Datenbank enthält über 7.000 Werke, die im Zeitraum von 2016 bis 2021 erstmalig als Originalausgabe auf Deutsch erschienen sind.

4.1.2 Details zur Analyse

Insgesamt gezählte Werke: n = 5.092

Wurde ein Werk mehrfach (z.B. im einen Jahr als Hardcover und im nächsten Jahr als Taschenbuch) veröffentlicht, wurde es in der Auswertung nur einmal im zuerst erschienenen Format gezählt.
Übersetzungen aus andere Sprachen wurden nicht gezählt.
Werke, die gemeinschaftlich von Autor*innen unterschiedlichen Geschlechts geschrieben wurden, wurden als „Mixed Team“ gezählt. Da diese „Mixed Teams“  jedoch stets unter 0,5% der Autorenschaft ausmachten, wurden sie der Übersichtlichkeit halber in der Grafik nicht aufgeführt. Die Mixed Teams Anteile sind:

2016: 0,11%; 2017:0,00%; 2018: 0,09%; 2019: 0,08%; 2020: 0,47%; 2021: 0,18%
Kurzgeschichtenbände wurden nur dann gezählt, wenn sie als Werk einer Person veröffentlicht wurden. Anthologien mit Geschichten mehrerer Autor*innen sind demnach nicht Teil der Analyse.

4.1.3 Unterscheidung nach Geschlecht

Die Unterscheidung nach Geschlecht wurde über ein Script vorgenommen, das die Vornamen auswertet. Als Grundlage wurden online verfügbare Vornamendatenbanken der Stadt Köln (https://offenedaten-koeln.de/dataset/vornamen) verwendet. Im Anschluss wurde das Geschlecht bei nicht eindeutig
erkannten Vornamen händisch durch Recherche ergänzt. Hier sind Fehler nicht auszuschließen; außerdem gibt es einige Autor*innen, die nicht auffindbar waren, bzw. die absichtlich keine Angabe über ihr Geschlecht machen. Inwieweit Autor*innen, die unter einem andersgeschlechtlichen Pseudonym veröffentlichen, richtig eingeordnet wurden, kann nicht beurteilt werden. Auch die Anzahl nichtbinärer Autor*innen ist so gering, dass sie nicht einzeln ausgewiesen werden.

4.1.4 Fazit Christian Pree

Die Datenbank von Christian Pree umfasst jahrzehntelang gesammelte Informationen über die in Deutschland veröffentlichte Science-Fiction. Für die Analyse der #fantastischenFRAUEN wurde nur ein kleiner Teil dieser Datenbank verwendet. Aufgrund des Umfangs und der Detailtiefe ist davon auszugehen, dass er eine der vollständigsten Datenbanken zu diesem Thema besitzt. Weder Libri, noch Tolino spiegeln annähernd die Menge oder das Spektrum an Themen und Autor*innen wider, die in Prees Datenbank zu finden ist. Daher gehe ich davon aus, dass Pree aufgrund der Menge an gesammelten Informationen das im Vergleich repräsentativste Bild über die Frauenquote in der SF liefert. Allerdings sei hier darauf hingewiesen, dass Prees Datenbank lediglich quantitativ und nicht qualitativ ausgewertet wurde. Im Einzelfall kann es durchaus sein, dass Qualitäts-, Genre- oder Geschmacksgrenzen berührt werden. Doch wo diese Grenzen zu ziehen sind, müsste eine eigene Diskussion über die Grenzen der Literatur ausloten.

4.2 Datenbank der Libri GmbH

4.2.1 Quelle

https://www.libri.de/

Für diese Analyse wird die Datenbank der Libri GmbH verwendet, die Libri dem Forschungsprojekt #fantastischeFRAUEN freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Libri ist ein hauptsächlich im Zwischenbuchhandel tätiges Barsortiments- und Logistikunternehmen, das Großhandelsfunktionen und Logistikdienste anbietet. Es kann also angenommen werden, dass das Angebot von Libri im Großen und Ganzen das Sortiment repräsentiert, das im lokalen Buchhandel verfügbar ist.

4.2.2 Details zur Analyse

Insgesamt gezählte Werke:

n = 474 (Science-Fiction)
n = 1.475 (Fantasy)

Die von Libri bereitgestellte Datenbank enthält für den Zeitraum 2016-2020 2.898 Werke, die in die Warengruppen 11300 (= Hardcover Fantasy & Science-Fiction) und 21300 (=Taschenbuch Fantasy & Science-Fiction) eingeteilt sind. Um zu analysieren, wie viele deutschsprachige Fantasy und Science-Fiction Werke von Frauen aus dem ursprünglichen Veröffentlichungsjahr verfügbar sind, müssen die Daten erst wie folgt bereinigt werden:

Übersetzungen von Originalausgaben trennen

In der Libri-internen Systematik sind Autor*innen und Übersetzer*innen als solche markiert. Wo diese Informationen fehlen, werden sie durch händische Recherche ergänzt bzw. korrigiert. Nur originär auf Deutsch erschienene Werke fließen in die Analyse mit ein.

Duplikate entfernen
Wenn Werke in verschiedenen Jahren als Hardcover und dann als Taschenbuch, oder ein weiteres Mal in einem anderen Verlag veröffentlicht wurden, werden die Duplikate nicht mitgezählt.

Nicht-Relevantes entfernen
Es befinden sich in der Datenbank u.a. auch Spiele, Regelwerke oder Begleitmaterialien zu Rollenspielen. Diese werden nicht mitgezählt.

Kurzgeschichten-Anthologien entfernen
Da Anthologien oft dutzende Geschichten unterschiedlichster Länge von ebenso vielen Autor*innen enthalten, die die Anzahl der veröffentlichten Einzelwerke
erheblich verzerren würden, werden sie bei der Analyse nicht berücksichtigt.

Unterscheidung nach Geschlecht
Die Unterscheidung nach Geschlecht wird in 2 Schritten vollzogen:

  • Die Unterscheidung nach Geschlecht wird über ein Script vorgenommen,
    das die Vornamen auswertet. Als Grundlage wird die online verfügbare
    Vornamendatenbanken der Stadt Köln (https://offenedaten-koeln.de/dataset/vornamen) verwendet.
  • Im Anschluss wird das Geschlecht bei nicht eindeutig erkannten Vornamen händisch durch Recherche ergänzt

Nach der Veröffentlichung der ersten Analyse der Datenbank von Christian Pree wurde bemängelt, dass die Analysemethode nur binäres Geschlecht und keine nicht-binären Menschen erfassen würde. Dies ist richtig und der Größe der Datenmenge sowie der automatisierten Methode der „Geschlechtszuweisung“ geschuldet. Bei der Analyse der Daten von Libri wurde in gleicher Weise verfahren. Es gibt aber bereits eine Gruppe von Unterstützer*innen, die sich zum Ziel gesetzt hat, auch nicht-binäre Menschen in der Analyse der #fantastischenFRAUEN sichtbar zu machen. Wer bei dieser händischen Recherche helfen möchte, kann mich gerne kontaktieren.

Unterscheidung zwischen Science-Fiction und Fantasy
Bei Libri werden Werke der Genres Science-Fiction und Fantasy mit derselben Warengruppe gekennzeichnet. Um eine Unterscheidung zu treffen, werden
zwei Methoden angewandt:

  • Zuerst werden die Daten von Libri mit der Datenbank von Christian Pree abgeglichen und alle Werke, die sich in beiden Listen finden, als Science-Fiction markiert.
  • Die verbleibenden Titel werden händisch nachrecherchiert und mit dem Marker Science-Fiction versehen, wenn es sich um Werke handelt, die gängige SF Themen (z.B. Zukunft und/oder Technik und/oder KI und/oder Utopien/Dystopien und/oder Space Opera und/oder Aliens etc.) behandeln.

4.2.3 Fazit Libri

4.2.3.1 Frauenanteil

Im Bereich Science-Fiction dominieren bei Libri klar die männlichen Autoren. Im Bereich Fantasy ist hingegen seit 2017 die Zahl der von Frauen geschriebenen Werke größer als die der männlichen Kollegen! Die Tatsache, dass von Männern geschriebene Phantastik nahezu viermal so häufig rezensiert wird wie die von Frauen, bedeutet also vor allen im Bereich Fantasy eine besondere Unterrepräsentation der Frauen!

4.2.3.2 Vergleich SF & Fantasy

Libri hat wesentlich mehr Fantasy als SF Werke von Frauen im Angebot:

Im Jahr 2016 beträgt das Verhältnis 2 (SF) zu 36 (F)

Im Jahr 2021 ist das Verhältnis 26 (SF) zu 214 (F)

Frauenanteil in der Science-Fiction bzw. der Fantasy Literatur bei Libri

4.2.3.3 Deutsche Phantastik – vor allem Fantasy – emanzipiert sich quantitativ vom englischsprachigen Markt

Die Anzahl der originär auf Deutsch erscheinenden Fantasy und Science-Fiction Werke hat sich zwischen 2016 und 2020 von 102 auf 499 nahezu verfünffacht, während die Zahl der Übersetzungen lediglich um 70% (von 153 auf 261) gestiegen ist. 2021 ist bei den deutschen Originalen ein leichter Rückgang  zu beobachten, während die Übersetzungen leicht zulegen.

Diese Grafik zeigt, wie viele im jeweiligen Jahr erstveröffentlichte Übersetzungen bzw. originär deutschsprachige Werke Libri liefert.

Quelle: Theresa Hannig nach Daten von Libri GmbH, 2021

4.2.3.4 Das Barsortiment von Libri bildet nur einen Bruchteil der existierenden Science-Fiction-Literatur ab.

Für das Jahr 2016 hat Christian Pree 941 Science-Fiction Werke gesammelt – Libri liefert für das Gleiche Erscheinungsjahr nur 25 Werke. Für das Jahr 2020 hat Christian Pree 1276 Werke verzeichnet, Libri liefert 120. Der mainstream Buch-Markt bildet also nur einen sehr geringen Teil der tatsächlich erscheinenden deutschsprachigen Science-Fiction ab. Dies liegt u.a. daran, dass Pree auch Werke von Selfpublisher*innen und Heftromane auflistet, die Libri nicht führt. Ob die Situation für die deutschsprachige Fantasy Literatur vergleichbar ist kann aufgrund fehlender Datenlage nicht beurteilt werden.

Quelle: Theresa Hannig nach Daten von Libri GmbH und Christian Pree, 2021

4.3 Daten von Tolino Media

4.3.1 Quelle

https://www.tolino-media.de/

Im Sommer 2022 erhielt ich Zugang zur Datenbank von Tolino Media.

4.3.2 Details zur Analyse

Insgesamt gezählte Werke:

n = 731 (Science-Fiction)

Tolino weist jedes Werk einer oder mehreren Kategorien bzw. Genres zu. Ich habe diese Kategorisierung übernommen. So finden sich hier alle Bücher, die mit mindestens einer der folgenden Kategorien markiert waren: Science Fiction, Steampunk, Space Opera, Dystopien und Utopien.

4.3.3 Fazit Tolino Media

Auf den ersten Blick fällt auf, dass der Frauenanteil bei Tolino Media zwischen 2019 und 2020 einen erheblichen Sprung gemacht hat, nämlich von 23,33% auf 40,51% um dann im Folgejahr auf 37,76% zu fallen. Zuvor war auch bei Tolino Media der Frauenanteil bei 22-23% gelegen. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob im Selfpublisher Bereich generell mehr Frauen Fuß fassen als im Mainstream bzw. bei Christian Pree oder ob es sich um einen einmaligen Ausreißer handelt.

 

5 Einordnung

In der deutschen Literaturlandschaft gibt es mehr professionell schreibende Autorinnen als Autoren.

Von den 40.926 bei der Künstlersozialkasse registrierten Autor*innen sind 22.371 Frauen und 18.555 Männer.


Wenn es aber um Science-Fiction geht, wird oft davon ausgegangen, dass dies eine Literaturgattung von Männern für Männer sei.

Das hat unterschiedliche Gründe: Wie in den meisten anderen Literaturgattungen und überhaupt im den meisten anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens wurden Frauen in der Vergangenheit weniger beachtet, weniger ernst genommen und für weniger relevant erklärt. (Siehe auch: FRAUEN LITERATUR: Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt von Nicole Seifert, Kiepenheuer&Witsch, 2021)

Das spiegelt sich auch in den Rezensionen wieder

Dass von Frauen verfasste Literatur in den Medien seltener und kürzer besprochen wird, hat die Autorin und Journalistin Nina George in ihrem 2018 durchgeführten Forschungsprojekt #frauenzählen (http://www.frauenzählen.de/) gezeigt.

Wer liest wen?

Eine weitere interessante Entdeckung hat die britische Journalistin Mary Ann Sieghart im Juli 2021 gemacht. Sie untersuchte, wie sich die Leserschaft der englischsprachigen TOP TEN Bestseller zusammensetzt. Dabei fand sie heraus, dass beide Geschlechter die Literatur von Männern lesen, während Männer zum Großteil überhaupt keine Werke von Frauen lesen.

Wer erhält die Literaturpreise?

Die Folgen sind spürbar: Wer weniger besprochen wird, wird weniger gelesen, gilt als weniger relevant, gewinnt weniger Preise und erscheint seltener in einschlägigen Lexika wie z.B. der Wikipedia. Denn dort ist eines der Relevanzkriterien für Autor*innen u.a. der Gewinn eines renommierten Literaturpreises (https://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Relevanzkriterien#Autoren).
Wenn wir uns die Vergabe der deutschen Science-Fiction-Literaturpreise anschauen, können wir sehen, wie stark diese von den männlichen Autoren geprägt ist. In den rund 40 Jahren, in denen der Deutsche Science-Fiction Preis und der Kurd Laßwitz Preis in den Kategorien „Beste Kurzgeschichte“ und „Bester Roman“ vergeben wurden, gab es kaum eine Handvoll Preisträgerinnen. Nur 4 mal wurden Autorinnen für die Beste Kurzgeschichte mit dem DSFP ausgezeichnet, verglichen mit 34 männlichen Kollegen. Und nur ein einziges Mal bekam eine Frau den Kurd-Laßwitz-Preis für den besten Roman. Dies war 1988 Gudrun Pausewang für ihren Roman „Die Wolke“, für den Sie außerdem den DSFP erhielt.

Vielen Dank!

Für die Mitarbeit und Hilfe bei diesem Projekt möchte ich mich bedanken bei Christian Pree, Ralf Boldt, Regine Bott, Dr. Christoph Endres, Norbert Fiks, Udo Klotz, Katja Konrad, Jacqueline Montemurri, Madeleine Puljic und Klaudia Seibel, Yvonne Tunnat, Dr. Detlef Bauer und Martina Raschke.

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