Am 10.04.2019 per E-Mail
Liebe Frau Hannig,
ein paarTage vor Ihrem Interview in jetzt (Theresa will das generische Masculinum abschaffen), gab es zu einem Artikel zum Theme Gendersprache in der SZ eine Reihe von Leserzuschriften. Einen davon sende ich Ihnen als Kopie zu, weil ich das Thema nicht besser hätte beschreiben können und weil ihn auch eine Frau geschrieben hat.
Lassen Sie bitte Wikipedia so wie sie ist. Ich bin froh, dass es sie gibt. Wäre sie männlich müsste er Wikipedio heißen und wäre es sächlich müsste es Wikipedium heißen
Einen schönen Tag noch und
viele Grüße
R.L.
10.04.2019
in Artikel der digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 06.04.2019 http://sz.de/1.4397933
Kein Zweifel, die Genderdiskussionen sind ideologisch besetzt. Das Gendern der Sprache steht im Widerspruch zur deutschen Grammatik: Es gibt keine Großbuchstaben im Wort, Unterstrich, Symbole wie * sind völlig willkürliche Eingriffe. „Alle Bürger dieser Stadt“ sind ALLE Bürger. Frauen müssen nicht auf Kosten der Männer noch besonders erwähnt und somit in den Vordergrund gerückt werden. Das ist reine Zeitverschwendung und stört den rhetorischen Fluss. Haben selbstbewusste Frauen das nötig? Ich bin gegen diese künstliche Verformung. Mich und alle anderen, die gegen diesen gewaltsamen Eingriff in die Sprache sind, deswegen in die rechte Ecke zu drängen oder als „von vorgestern“ abzutun, ist voreingenommen und populistisch. Sprache entwickelt sich im gesprochenen Raum, da kommen Wörter, Begriffe hinzu oder werden wieder abgestoßen. Sie zu „gendern“ stellt einen unnatürlichen gewaltsamen Eingriff in die natürliche Sprachentwicklung dar und stört die Ästhetik der Sprache. Die sogenannte gendergerechte Sprache ist eine Laborsprache, Soziolekt einer elitären Minderheit, eine feministische Ideologie, die in Besorgnis um politische Korrektheit von vielen unreflektiert – vielleicht sogar in guter Absicht – aufgegriffen wird. Ideologische Besetzungen der Sprache sind aber dekonstruktiv und führen zur Spaltung von Gesellschaften. Komposita wie „Asyltourismus“ und „Lügenpresse“ sind ein Beispiel dafür. Ebenso ist eine Vereinnahmung der Sprache durch genderideologische Fundamentalisten weder harmlos noch schön, sondern manipulativ und populistisch. Das Gendersternchen schafft keiner Frau mehr Posten in Dax-Unternehmen, gibt keiner Frau mehr Freiheiten bei der Entscheidung zwischen Job und Familie, und vor allen Dingen hilft es keiner alleinerziehenden Mutter aus der Armutsfalle. Das Gendersternchen dient vor allem der Selbstbehauptung einiger linker Feministen, einer intellektuellen elitären Minderheit, die jedoch mit großer Radikalität und erheblichem Durchsetzungsvermögen versucht, sich unter dem Motto der politischen Korrektheit eine Fangemeinde zu schaffen.
Das Gendern der Sprache ist nicht mehr als Symbolik, ungeeignet, gesellschaftliche Strukturen zu verändern, schon deshalb, weil es die benachteiligten Bevölkerungsschichten gar nicht erreicht. Es ist nicht mehr als eine Ideologie, die unterschwellig Druck ausübt auf alle, die ihr nicht folgen.
Dr. phil. Anne Meinberg, Köln
Meine Antwort
Sehr geehrter Herr L.,
Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, sowohl den Artikel als auch die Kommentare zu lesen und mir daraufhin eine E-Mail zu schreiben. Das ist schon mehr, als die meisten Leute tun. Daher möchte ich mir auch die Zeit nehmen, um Ihnen ausführlich zu antworten.
Zunächst einmal möchte ich Sie beruhigen: Es liegt nicht in meiner Macht, die Wikipedia zu ändern. Die Änderungen müssen von den Wikipedianer*innen selber beschlossen werden. Darum haben wir das Meinungsbild initiiert – die stimmberechtigten Mitglieder dürfen dann darüber abstimmen. Sollten Sie selbst stimmberechtigt sein, kann ich Sie nur ermutigen, an dem Meinungsbild teilzunehmen und ggf. dagegen zu stimmen. Ich bin sehr für demokratische Prozesse und dazu gehört, dass man sich dem Willen der Mehrheit beugt.
ABER auch wenn die Mehrheit bestimmt, sollten Minderheiten geschützt werden und darum geht es ja auch im weitesten Sinne in der Petition. 9% der Wikipedia-Autor*innen sind Frauen, lediglich 15,65 % der in der deutschsprachigen Wikipedia veröffentlichten Biographien thematisieren Frauen. Diese beiden Zahlen stehen in krassem Widerspruch zur Realität. „Haben selbstbewusste Frauen das nötig?“ Die klare Antwort ist JA! Denn selbstbewusste Frauen und ihre Taten werden vergessen werden, wenn niemand über sie berichtet. Gehen Sie in sich und überlegen Sie: Wie viele berühmte Schriftstellerinnen kennen Sie? Wie viele berühmte Komponistinnen, Philosophinnen, Malerinnen, Forscherinnen? Es gab seit Anbeginn der Menschheit starke und selbstbewusste Frauen und doch wissen wir – im Vergleich zur schieren Zahl der Männer – wenig über sie.
Ich sehe nicht ein, warum das so bleiben soll. Wir haben heute die Werkzeuge, die Fähigkeit und das Wissen, um über interessante und wichtige Frauen zu schreiben. Warum sollten wir das lassen? Warum sollte ich nach Autoren suchen müssen, wenn ich Autorinnen finden will? Stellen Sie sich doch bitte vor, es wäre anders herum. Stellen Sie sich vor, alle Welt würde nur von Politikerinnen, Autofahrerinnen, Professorinnen, Moderatorinnen, Fußballerinnen, Bürgerinnen, usw. usw. reden. Wären Sie es nicht auch irgendwann Leid, immer nur mitgemeint zu sein? Warum SOLLTEN Frauen sich damit begnügen? Warum? Weil wir es die letzten zwölftausend Jahre gemacht haben? Sehe ich ehrlich gesagt nicht ein. Und dass es kompliziert sein mag, ein * oder einen _ zu verwenden, ja, da stimme ich Ihnen zu. Es fordert unsere Lesegewohnheiten heraus, es ist neu und ungewohnt. Aber neu und ungewohnt waren irgendwann auch einmal Autos, Telefone, Internet und tausend andere Dinge an die sich die Menschheit seit ihrem Bestehen gewöhnt hat. Es ist immer die Generation des Übergangs, die mit diesen Neuerungen zu kämpfen hat. Haben wir uns erst einmal alle daran gewöhnt, ist es (per Definition) ganz normal für uns.
Ich hoffe, dass ich mit meinen Ausführungen klar gemacht habe, warum ich nach wie vor an der Petition und den Meinungsbildern festhalte. Es kann durchaus sein, dass wir nicht besonders viele Unterschriften sammeln und es kann sein, dass beide Meinungsbilder scheitern. Vielleicht werden * und _ bald in Vergessenheit geraten oder die deutsche Sprache entwickelt sich hin zu anderen Systemen. Wie auch immer es weitergeht, so habe ich doch die feste Überzeugung, dass es sich lohnt, für Geschlechtergerechtigkeit einzustehen und das Bewusstsein dafür zu wecken. Denn ja, ich würde gerne in einer Gesellschaft leben, in der wir alle gleich behandelt werden und solche Bewusstseinsschaffenden Maßnahmen über die Sprache nicht nötig hätten. Leider sind wir von einer solchen Gesellschaft (siehe z.B. aktueller Allbright Bericht) noch weit entfernt.
Beste Grüße
Theresa Hannig
10.04.2019