Die Zeit vergeht

Eine der Fragen, die sich mir beim Schreiben immer wieder stellt, ist, wie nah ich am Geschehen dran sein will oder dran sein muss. Fachlich ist es die Frage, in welchem Verhältnis „Erzählzeit“ (Zeit die man zum Lesen braucht) und „Erzählte Zeit“ (Zeit, die in der Geschichte vergeht) zueinander stehen.

Es gibt Geschichten, da zählt jede Sekunde, jede Handlung, jeder Gedanke. Eine Minute kann sich dann über ein ganzes Kapitel erstrecken, ein Gedankengang seitenlang ausgeführt werden. Aber irgendwann muss die Geschwindigkeit auch wieder gesteigert werden. Sonst ist man nach einer Stunde erzählter Zeit schon bei 600 Seiten angekommen und wie soll das nur weitergehen?
Also muss man irgendwann wieder Abstand gewinnen, die Zeit vorbeifliegen lassen. Manchmal reicht ein lapidares: Am nächsten Morgen, einen Tag darauf oder: 10 Jahre später…. Manchmal ist es schwierig, von einer intensiven Situation wieder auf den allgemeinen Erzählstrang zurückzukommen.

Beim Lesen fällt mir meistens nicht auf, wie die Zeitgestaltung vonstattengeht. Fertige Bücher sind ja wie alte Glasscherben, die man im Bach findet: rund und glatt geschliffen, sodass man sich am ihnen nicht mehr schneiden kann. Beim Schreiben aber bin ich sofort damit konfrontiert. Schreibe ich auf, was genau als nächstes passiert, oder fahre ich mit dem nächsten wichtigen Punkt fort, der erst am nächsten Tag spielt? Aber was machen meine Figuren in der Zwischenzeit?

Man hat ja manchmal so ein Gefühl, als würden die Figuren ein Eigenleben führen, das zwischen den Zeilen stattfindet, und von dem niemand etwas weiß. Figuren müssen ja auch die lebensnotwendigen Tätigkeiten verrichten: Essen, Trinken, Waschen, auf die Toilette gehen. Als Kind hat es mich immer gestört, dass diesen Alltäglichkeiten in den meisten Geschichten kein Raum eingeräumt wird. Klar, sie sind für den Fortgang der Handlung nicht nötig, aber wenn ich eine Figur mag und mich für sie interessiere, möchte ich ja doch wissen, was sie den ganzen Tag macht.

Dieses Bedürfnis scheine nicht nur ich zu haben – und nicht nur in Bezug auf fiktive Charaktere. Denn es gibt unzählige Menschen, die in den sozialen Netzwerken ihren Alltag posten und noch mehr Leute, die ihnen dabei zusehen. Könnte man also auch ein Buch schreiben, das ausschließlich den Alltag wiedergibt und zwar zu 100%? Quasi ein Protokoll meines Tages? Wahrscheinlich renne ich offene Türen ein und es gibt genau das schon auf YouTube und Facebook sowieso. Interessant wäre aber vielleicht ein 100%iges Protokoll meiner Gedanken…? Ach nein, lieber nicht. Dieser Eintrag allein wird schon viel zu lang.

Also: Wie nah, oder auch wie schnell muss eine Geschichte erzählt werden, damit sie spannend ist und bleibt? Ich weiß es nicht. Ich werde es wohl beim Schreiben wieder herausfinden müssen. Und außerdem habe ich noch eine Lektorin, die sehr gut im Streichen ist. Also schreibe und schreibe ich einfach immer weiter. viel früher

Und hätte meine Lektorin die Gelegenheit gehabt, diesen Blogeintrag zu korrigieren, dann hätte sie mich ohne Zweifel dazu gebracht, ihn viel früher zu beenden.

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