Ich fahre sehr gerne zu Lesungen.
Dazu bereite ich mich jedes Mal aufs Neue vor, obwohl ich (meist) den gleichen Text lese. Das heißt, dass ich vor jedem Auftritt noch einmal meinen Text durchgehe, Betonungen und Aussprache überprüfe und das ein oder andere Wort, über das ich beim letzten Mal gestolpert bin, austausche oder wegstreiche. Bevor ich anfing, öffentliche Lesungen zu halten, hat mir eine befreundete Schauspielerin beigebracht, wie das überhaupt geht; wie man alle Zuschauer im Raum erreicht, wie man seine Aufmerksamkeit und seine Präsenz auf den ganzen Raum ausdehnt. Aber auch, wie ich meinen Text richtig lese. Es geht nicht (nur) darum, laut und deutlich zu sprechen, wie man vielleicht im ersten Moment vermuten könnte. Vielmehr hat sie mich mit einer Reihe von Fragen getriezt, auf die ich im ersten Moment gar keine Antworten hatte: Warum sagt die Figur das? Wieso lautet die Erklärung so und nicht anders? Welche Emotionen hat die Figur in dieser oder jener Situation? Entspricht das, was die Figur glaubt, der (Buch-)Wahrheit?
Die Antworten auf diese Fragen sind wichtig, um den Text richtig vortragen zu können. Denn wer will schon einer einstündigen Lesung lauschen, bei der alle Sätze nach dem gleichen Schema klingen:
BLAABLAA bla blaa blaa bla baa blaa bla blaaaa. BLAABLAA bla blaa blaa bla baa blaa bla blaaaa.
Satzfängthochanundwirddannimmertiefer.
Ich bemühe mich, den Figuren durch Intonation, Dialekt und Lautstärke Leben einzuhauchen und die unterschiedlichen Charaktereigenschaften so zu betonen. Am Ende möchte ich ja auch weiterhin Spaß beim Lesen haben und das gelingt nur, wenn ich selbst auch beim 100. Mal Lesen noch Interesse an meinen Figuren habe.
Im Anschluss an meine Lesungen freue ich mich immer über die Diskussion. Wenn ich vor Schülern lese, geht es da meist um Social Media und den sparsamen Gebraucht mit den eigenen Daten. Bei älterem Publikum um das System der Sozialpunkte (das in China bald Pflicht sein wird) und um das Bedingungslose Grundeinkommen. Seit neuestem beleuchte ich auch gerne die Figur der „Martina Fischer“ und die Art, wie ungerecht das Schicksal, bzw. ich als Autorin mit ihr umgegangen bin. Dazu gibt es (wie schon an anderer Stelle versprochen) bald einen eigenen Blogeintrag.
Und jetzt kommt der Punkt, an dem ich auf das Geld zu sprechen komme.
Glücklicherweise macht mir mein Beruf Spaß. Ich weiß, dass nicht alle Menschen das von sich behaupten können, aber ich wünsche es jedem! Unabhängig davon muss und will ich mit diesem Beruf Geld verdienen, sonst müsste ich ja bald etwas anderes machen, was mir voraussichtlich weniger Spaß macht, ist ja klar.
In letzter Zeit habe ich immer wieder Lesungsanfragen bekommen, bei denen ich gebeten wurde, mein Honorar zu verringern, was ich manchmal auch getan habe. Da es sich beim letzten Mal um mehrere Lesungen an einer Schule handelte, habe ich gerne ein paar Prozent nachgegeben. Leider wurde ich daraufhin gebeten, noch einmal runter zu gehen. Auf meinen Hinweis, dass ich mich mit dem aktuellen Angebot schon am absoluten Minimum dessen befinde, was der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller für Lesungen empfiehlt, wurde die Lesung abgelehnt.
Das hat mich enttäuscht, andererseits aber auch in meinem Handeln bestärkt. Im konkreten Fall ging es um 50 Euro mehr oder weniger. 50 Euro für zwei Jahrgangsstufen. 50 Euro für ca. 200 Schüler, also 0,25 Euro pro Kind! Das war es der Schule nicht Wert. Sie hätten eher erwartet, dass ich zum wiederholten Male auf die 50 Euro verzichte und so quasi freiwillig unter „Mindestlohn“ arbeite. Aber das mache ich nicht, denn damit schade ich nicht nur mir, sondern auch meinen Kolleg*innen. Denn es kam tatsächlich das Argument, die anderen Autor*innen hätten für noch weniger Geld gelesen. Da denke ich mir: Wenn ich da jetzt mitmache, wird die nächste Autorin nach mir, wieder den gleichen Kampf kämpfen müssen. Und darauf lasse ich mich nicht ein.