In den sozialen Medien kursiert zurzeit wieder ein Text-Video, in dem der Bürgermeister der kanadischen Stadt Dorval auf die vermeintliche Forderung von Muslimen reagiert, in der Schulkantine kein Schweinefleisch mehr anzubieten.
Das Video wurde im Laufe der Zeit schon mehrfach als Fake entlarvt (z.B. https://correctiv.org/faktencheck/2022/11/29/frei-erfunden-kanadischer-buergermeister-belehrte-muslimische-eltern-nicht-ueber-schweinefleisch-in-schulkantinen/ )
Dennoch möchte ich hier auf den Text, die verwendeten Stilmittel und die vermeintlichen Argumente des Bürgermeisters eingehen, weil sie stellvertretend für eine rechte, fremdenfeindliche und muslimfeindliche Rhetorik stehen, die aber gesellschaftlich schon so akzeptiert ist, dass sie in konservativen Kreisen befürwortet und immer wieder geteilt wird.
Sie ist genau deshalb besonders gefährlich, weil sie – unter dem Deckmantel der Bürgerlichkeit – eine zutiefst menschenverachtende Weltsicht propagiert.
Es geht also nicht um das konkrete Video oder kanadische Kommunalpolitik, sondern vielmehr um Argumente, die genauso auch in Deutschland gesagt wurden und werden. Wenn in meiner Analyse von „der Bürgermeister“ gesprochen wird, meine ich also nicht den echten Bürgermeister von Dorval, sondern die fiktive Figur.
Transkript
Kanadischer Bürgermeister verweigert Schweinefleisch aus der Schulkantine zu entfernen, und erklärt warum. Muslimische Eltern forderten die Abschaffung von Schweinefleisch in allen Schulkantinen. Der Bürgermeister hat dies ablehnt und der Stadtschreiber schickte eine Nachricht an alle Eltern: Muslime müssen verstehen, dass sie sich in Kanada und Quebec an die Bräuche, Traditionen und Lebensweisen anpassen müssten, weil sie dort eingewandert sind. Sie müssen verstehen, dass sie sich integrieren und lernen müssen, in Quebec zu leben. Sie müssen verstehen, dass es an ihnen liegt, ihren Lebensstil zu ändern; nicht die Kanadier, die sie so großzügig aufgenommen haben. Sie müssen verstehen, dass die Kanadier weder rassistisch, noch fremdenfeindlich sind. Sie haben viele Einwanderer vor den Muslimen akzeptiert, während das Gegenteil nicht der Fall ist, da muslimische Staaten keine nicht-muslimischen Einwanderer akzeptieren. Dass die Kanadier nicht mehr als andere Nationen bereit sind, ihre Identität und Kultur aufzugeben. Und wenn Kanada ein willkommenes Land ist, heißt nicht der Bürgermeister von Dorval Ausländer willkommen, sondern das kanadisch quepicolische Volk insgesamt. Schließlich müssen sie verstehen, dass in Kanada mit seinen jüdisch, christlichen Wurzeln, Weihnachtsbäumen, Kirchen und religiösen Festen, die Religion im privaten Bereich bleiben muss. Die Gemeinde Dorval verweigerte zurecht jegliche Zugeständnisse an den Islam und die Scharia. Für Muslime, die mit dem Säkularismus nicht einverstanden sind und sich in Kanada nicht wohlfühlen, gibt es 57 wunderschöne muslimische Länder auf der Welt, die meisten von ihnen unterbevölkert und bereit sie entsprechend mit offenen Halalarmen aufzunehmen. Wenn sie ihr Land nach Kanada verlassen und nicht in andere muslimische Länder, liegt das daran, dass sie überlegt haben, dass das Leben in Kanada besser ist als anderswo. Stellen Sie sich die Frage nur einmal. Warum ist es hier in Kanada besser als dort wo Sie herkommen. Eine Kantine mit Schweinefleisch ist ein Teil der Antwort. Teilen Sie dies mit Toleranz in der Welt.
1. Grundüberlegung: Wie wird Kritik (von wem) bewertet
In einer pluralistischen Demokratie – und in einer solchen leben wir, sonst könnte ich diesen Text überhaupt nicht veröffentlichen – hat jeder und jede das Recht, seine Meinung frei zu äußern und sich am politischen und gesellschaftlichen Mitbestimmungsprozess insofern zu beteiligen, dass er/sie mündlich oder schriftlich Forderungen an Verwaltungen, Behörden und Einrichtungen schicken kann. Sofern diese Forderungen nicht den Gesetzen, der Verfassung oder den Menschenrechten widersprechen ist jede Forderung valide. Beispiel: Die Forderung, alle sollen freitags rote Hosen tragen, ist – unabhängig ob man sie befürwortet oder nicht – valide und kann diskutiert werden. Die Forderung, alle Linkshänder sollten eingesperrt werden, ist nicht valide, weil sie den Grundrechten widerspricht, also muss sie gar nicht diskutiert werden. Ob eine Forderung am Ende umgesetzt wird, hängt davon ab, ob sie die entsprechende Mehrheit findet. Das ist der Prozess, das ist das Fundament unserer Demokratie. Die Frage, wer eine Forderung stellt, sollte keinen Einfluss auf die Forderung selbst haben. In der Realität hängt die Reaktion der Öffentlichkeit aber sehr stark davon ab, wer welche Forderung ausspricht.
Zurück zum Video. Hier stellen die muslimischen Eltern angeblich die Forderung, Schweinefleisch aus der Schulkantine zu entfernen. Der Bürgermeister reagiert darauf nicht mit inhaltlichen Argumenten, sondern lediglich mit einer Argumentation ad Hominem, d.h. er versucht die Legitimität der Forderung an sich zu verneinen, indem er die Fordernden als Personengruppe delegitimiert.
Zur Verdeutlichung hilft es, sich zu überlegen, wie die Reaktion wohl ausgesehen hätte, wenn der Lobbyverband der Hühnerzüchter oder eine Gruppe von Ernährungswissenschaftlerinnen gefordert hätte, das Schweinefleisch aus der Kantine zu verbannen.
2. Gute Einwanderer - schlechte Einwanderer
In seiner Nachricht an die Eltern sagt der Bürgermeister:
Muslime müssen verstehen, dass sie sich in Kanada und Quebec an die Bräuche, Traditionen und Lebensweisen anpassen müssten, weil sie dort eingewandert sind.
Der Bürgermeister fordert von den Muslimen eine Anpassung an die bestehenden Verhältnisse, weil sie eingewandert seien. Tatsächlich sind alle nicht-indigenen Kanadier nach Kanada eingewandert. Und es sind nicht etwa die indigenen Bräuche, die das Leben und die Kultur in Kanada bestimmen, sondern die der weißen christlich/jüdischen Einwanderer. Mit anderen Worten: Die ersten Einwanderer haben die ursprüngliche Kultur verdrängt und setzen sich jetzt als Maßstab für alle, die nach ihnen kommen. Sie behaupten, ihre Bräuche, Traditionen und Lebensweisen seien ein Fixum, an das sich jetzt die anderen anpassen müssten. Warum sie sich anpassen müssen wird nicht gesagt, lediglich postuliert:
Sie müssen verstehen, dass sie sich integrieren und lernen müssen, in Quebec zu leben. Sie müssen verstehen, dass es an Ihnen liegt, Ihren Lebensstil zu ändern;
Die Art und Weise wie diese Forderung formuliert ist, ist herablassend. Die Muslime „müssen verstehen“ und sie „müssen lernen“. Dies impliziert, dass der Bürgermeister sich selbst in der Position sieht, den Muslimen eine Lektion erteilen zu können. Außerdem impliziert es, dass die Muslime vorher offenbar noch nicht verstanden und noch nicht gelernt haben, was der Bürgermeister ihnen sagen wollte. Hinzu kommt die Fehlzuschreibung: Muslime und Einwanderer werden gleichgesetzt. Dies geschieht, um eine Gruppe, die als fremd wahrgenommen wird, zu markieren und Ressentiments gegen sie zu schüren.
Die Tatsache, dass es muslimische Familien gibt, die genauso zu den „ersten Einwanderern“ zählen, wird völlig ignoriert. Muslime werden per se als Einwanderer, also Fremde, nicht zugehörige, Außenstehende gekennzeichnet, die sich an die bestehenden Verhältnisse anzupassen haben. Sie werden sogar explizit aufgefordert, sich zu integrieren und ihren Lebensstil zu ändern. Tatsächlich gibt es aber in einer pluralistischen Demokratie keine Integrationsplicht. Wer in einem Land bleiben möchte, hat sich an die Verfassung und an die Gesetze zu halten. Aber es gibt weder in Deutschland noch in Kanada die Verpflichtung, Schweinefleisch zu essen, in die Kirche zu gehen oder sich z.B. in einem Heimatverein zu engagieren, um dazuzugehören.
Und noch etwas zum Ton des Bürgermeisters: Streng genommen ist der Bürgermeister als oberster Verwaltungsbeamter der Dienstleister seiner Bürger*innen. Da der Bürgermeister im Text aber nicht zwischen eingewanderten und einheimischen Muslimen und nicht zwischen Menschen mit und ohne Wahlrecht unterscheidet (denn auch Ausländer können unter bestimmten Bedingungen Wahlrecht besitzen), ist ersichtlich, dass es ihm nicht um die Sache geht, sondern um die Herabsetzung der Muslime.
3. Dankbarkeit einfordern
Im nächsten Satz kommt zum Ausdruck, wie der Bürgermeister das Verhältnis zwischen sich und den Muslimen sieht: Sie müssen verstehen, dass es an Ihnen liegt, Ihren Lebensstil zu ändern; nicht die Kanadier, die sie so großzügig aufgenommen haben.
Er behauptet, die Kanadier hätten die Muslime „großzügig“ aufgenommen. Großzügigkeit impliziert eine Art von freiwilliger Gabe, ein Geschenk. Es ist eine einseitige nur von einer Person zu entscheidende Handlung. Es wird so dargestellt, als könnten die Muslime sich glücklich schätzen, dass sie überhaupt in Kanada sein dürfen. Tatsächlich wird hier wieder nicht zwischen Muslimen und Einwandern unterschieden, außerdem wird wieder darauf abgestellt, dass diese (zweiten) Einwanderer in irgendeiner Weise weniger Wert seien oder weniger Recht hätten einzuwandern, außerdem wird nicht bedacht, dass Einwanderung wirtschaftliche oder persönliche Gründe haben kann, die nicht mit den Kategorien von „Dankbarkeit“ oder „Großzügigkeit“ zu fassen sind. Einwanderer werden von Privatpersonen, Unternehmen und dem Staat als Fachkräfte dringend gebraucht. Wer hier wem gegenüber großzügig oder dankbar sein muss, ist fraglich. Der Bürgermeister offenbart mit seiner Formulierung, dass er sich für etwas Bessres hält als die Muslime. Er argumentiert offen fremdenfeindlich. Interessanterweise wird genau das im nächsten Satz verneint:
Sie müssen verstehen, dass die Kanadier weder rassistisch, noch fremdenfeindlich sind.
Das ist als rhetorischer Trick zu verstehen, um das Publikum, das dabei ist die richtigen Schlüsse zu ziehen, zu verunsichern. Die reine Behauptung, nicht rassistisch und nicht fremdenfeindlich zu sein, macht die vorherige Argumentation aber nicht ungeschehen.
4. It's not me, it's you!
Die Schuld für etwaige Probleme, die es im Zusammenleben mit den Einwanderern gibt schiebt der Bürgermeister auf die Muslime selbst:
Sie (=die Kanadier) haben viele Einwanderer vor den Muslimen akzeptiert, während das Gegenteil nicht der Fall ist, da muslimische Staaten keine nicht-muslimischen Einwanderer akzeptieren.
Gemeint ist: Die Kanadier können gar nicht fremdenfeindlich sein, weil sie die (nicht-muslimischen) Einwanderer vor den Muslimen ja akzeptiert haben. Falls jemand beim Lesen des Textes also bereits vermutet hat, dass der Bürgermeister fremdenfeindlich ist, soll dieser Gedanke sofort entkräftigt werden.
5. Schneewittchen ist 1.000 Mal schöner
Der zweite Teil des Satzes offenbart noch viel mehr: Sie haben viele Einwanderer vor den Muslimen akzeptiert, während das Gegenteil nicht der Fall ist, da muslimische Staaten keine nicht-muslimischen Einwanderer akzeptieren.
Hier wendet der Bürgermeister mehrere ineinander verschachtelte rhetorische Tricks an, um die eigene Überlegenheit zu postulieren:
- Er behauptet, muslimische Staaten würden keine nicht-muslimischen Einwanderer akzeptieren. Das ist falsch. Viele muslimische Staaten lassen Einwanderung nicht muslimischer Menschen zu. Zudem ist es eine unhaltbare Verallgemeinerung: allen muslimischen Staaten (welche genau gemeint sind, wird nicht erwähnt) wird eine einheitliche Einwanderungspolitik unterstellt, die sich von derjenigen Kanadas unterscheide.
- Dabei wird eine Art Gerechtigkeitsgefälle konstruiert: wir machen etwas, was die anderen nicht tun und deshalb sind wir besser.
- Durch das Gerechtigkeitsgefälle entsteht ein Rechtfertigungsraum: Es kann dem Personenkreis X (= Einwanderern einer „fremden“ Religion) bei uns ja gar nicht so schlecht gehen, wenn es dem Personenkreis X in einem anderen Land noch schlechter geht. Diese Argumentation ist aber in Wahrheit sinnlos, da sich mit ihr nahezu jede Ungerechtigkeit rechtfertige ließe, z.B.: Frauen in Deutschland zu schlagen ist ja gar nicht so schlimm, denn in Iran werden sie umgebracht.
Tatsächlich kann das eigene Handeln aber nur an den eigenen Wertmaßstäben gemessen werden und nicht am Handeln Anderer die andere Wertmaßstäbe besitzen.
6. Opferrolle
Ohne einen zwingend logischen Zusammenhang zu schaffen, rechtfertigt der Bürgermeister seine Worte damit, Dass die Kanadier nicht mehr als andere Nationen bereit sind, ihre Identität und Kultur aufzugeben.
Diese Worte implizieren, dass zuvor irgendjemand von den Kanadiern gefordert hätte, ihre Identität und Kultur aufzugeben. Es wird sogar impliziert, dass Kanada bereits in dem Maße in dem dies andere Nationen auch getroffen habe, bereit gewesen sei, seine Kultur aufzugeben.
Es ist also in den Augen des Bürgermeisters schon geschehen. Der Angriff war schon da, man hat schon nachgeben müssen, aber eben nur ein bisschen. Und jetzt ist man nicht bereit, noch mehr aufzugeben. Wir erinnern uns: Ursprünglich ging es nicht um einen Angriff auf Identität und Kultur sondern lediglich um die konkrete Forderung, in der Schulkantine kein Schweinefleisch mehr zu essen. In diesem Zusammenhang ist es eine zusätzliche Überlegung wert, wie/warum der Verzehr einer bestimmten Fleischsorte eine solche identitätsstiftende Wirkung hat bzw. warum der Verzicht darauf als so großer Verlust wahrgenommen wird. Wäre es bei anderen Fleischsorten oder anderen Lebensmitteln ähnlich? Was, wenn jemand fordern würde, in der Schulkantine keine Erbsen mehr zu servieren? Würde das die Gemüter erhitzen? Wohl nicht, denn hier geht es natürlich um mehr als das Fleisch. Das Schweinefleisch steht als Metapher für Wohlstand und Macht und ein Verzicht darauf wird als Angriff auf die eigene Dominanz wahrgenommen. Dass die pluralistische Demokratie diese Dominanz einer einzelnen Gruppe gar nicht vorsieht, ist der entsprechenden Gruppe egal. Denn ihre Identität, Tradition und Kultur orientiert sich eben nicht an der pluralistischen Demokratie, die den Kern des Staates bildet, sondern an vordemokratischen Machtphantasien in denen sie selbst die Mächtigen und die „anderen“ die Unterworfenen sind. Im Kampf um das Essen von Schweinefleisch lässt sich also ein Kulturkampf zwischen autoritärem und pluralistischem Denken ablesen.
7. Allgemeinplötze, Appellieren an das Gefühl
Ab jetzt wird die Argumentation schwammig aber nicht weniger problematisch:
Schließlich müssen sie verstehen, dass in Kanada mit seinen jüdisch, christlichen Wurzeln, Weihnachtsbäumen, Kirchen und religiösen Festen, die Religion im privaten Bereich bleiben muss.
Obwohl die ganze bisherige Argumentation des Bürgermeisters darauf abzielte, dass sich Muslime an die bestehende Kultur und Tradition anpassen müssen, wird jetzt behauptet, dass Religion eine Privatangelegenheit sei, obwohl die gesamte Gesellschaft von ihrem christlichen Erbe so sehr durchdrungen ist, dass Kultur und Religion kaum voneinander zu trennen sind: gerade Weihnachtsbäume, Kirchen und religiöse Feste dominieren sowohl in Kanada als auch in Deutschland den öffentlichen Raum, die Feiertage, die öffentlichen Feste und selbst die Konsumzyklen in den Supermärkten. Absurderweise bringt der Bürgermeister hier die jüdischen Wurzeln des Landes an, ohne zu merken, dass Juden genau wie Muslime kein Schweinefleisch essen.
8. Ich habe Recht! Wer hat's gesagt? Ich! Also muss es stimmen!
Hier verwendet der Bürger einen selbstbestätigenden Satz, der dem Leser gar keine andere Wahl lässt, als ihm zuzustimmen: Die Gemeinde Dorval verweigerte zurecht jegliche Zugeständnisse an den Islam und die Scharia.
9. David gegen Goliath
Nochmal zum gleichen Satz: Die Gemeinde Dorval verweigerte zurecht jegliche Zugeständnisse an den Islam und die Scharia.
Interessant ist, dass hier zum ersten Mal von Islam die Rede ist. Dabei war es ja nicht der Islam als Weltreligion, der die Forderung an die Schulkantine gestellt hat, sondern die muslimische Elternschaft. Auch war es nicht die Scharia. Aber das Bemühen dieser großen Begrifflichkeiten soll zeigen, mit welchen großen Playern sich die Gemeinde anlegt und wie sie sich gegen sie behauptet.
10. Wir gegen sie
Kurz vor Schluss spricht der Bürgermeister sein wahres Anliegen offen aus: Geht dahin zurück wo ihr hergekommen seid, oder wenigstens zu euresgleichen.
Für Muslime, die mit dem Säkularismus nicht einverstanden sind und sich in Kanada nicht wohlfühlen, gibt es 57 wunderschöne muslimische Länder auf der Welt, die meisten von ihnen unterbevölkert und bereit sie entsprechen mit offenen halalarmen aufzunehmen.
Muslime und Einwanderer bzw. Ausländer werden wieder in einen Topf geworfen, genauso wie die Menschen aus 57 verschiedenen muslimischen Ländern. Wie der Bürgermeister auf genau 57 muslimische Länder kommt, was ein Land zu einem muslimischen Land macht und welche das sind, wird nicht konkretisiert. Ebenso wenig wie die Möglichkeit, dass die „57 wunderschönen muslimische Länder“ untereinander mindestens so unterschiedlich sind wie sie gegenüber Kanada.
Der Bürgermeister offenbart hier eine fundamentale Unkenntnis über die Herkunft der Einwanderer und der von ihm angedeuteten Länder. Gleichzeitigt tut er dies mit einer Nonchalance, die zeigt, wie Salonfähig diese Unkenntnis ist: Diese Länder sind in seinen Augen offenbar so unbedeutend, dass es völlig unproblematisch ist, nichts über sie zu wissen. Allerdings sind sie in seinen Augen gut genug für die Muslime, um dorthin zurück zu gehen, sollte man mit dem Säkularismus (kurz zuvor wurde noch mit Kirchen und Weihnachtsbäumen argumenteiert) nicht zufrieden sein. Dass die Länder unterbevölkert seien, ist entweder sarkastisch gemeint (Länder mit einer problematischen demografischen Entwicklung, die zu Unterbevölkerung führen könnte sind eher Länder des Westens zu denen auch Kanada gehört) oder despektierlich, weil die Muslime lediglich als Menschenmasse, nicht jedoch als Individuen gesehen werden, um die Bevölkerung der entsprechenden Länder aufzufüllen.
Die Wortneuschöpfung „Halalarme“ schließlich lässt keinen Zweifel mehr an der muslimfeindlichen Art des Bürgermeisters. Halal bezeichnet alle Dinge und Handlungen, die nach islamischem Recht zulässig sind. Das Argument stellt also darauf ab, dass die Muslime in den entsprechenden Ländern mit offenen Armen empfangen würden, ungeachtet all der anderen individuellen Eigenschaften die sie als Menschen haben. Es entindividualisiert die Menschen also und stellt sie lediglich als Vertreter einer Gruppe dar, die als Ganzes angesprochen, herabgewürdigt und abgelehnt wird.
11. Kanada ist das beste Land
Hier begeht der Bürgermeister einen naturalistischen Fehlschluss:
Wenn Sie Ihr Land nach Kanada verlassen und nicht in andere muslimische Länder, liegt das daran, dass Sie überlegt haben, dass das Leben in Kanada besser ist als anderswo.
Das Argument ist logisch falsch. Abgesehen davon dass der Bürgermeister hier schon lange nicht mehr über Fleisch in der Kantine spricht sondern um Einwanderungspolitik. Es wird einfach irgendwas behauptet und irgendein Schluss gezogen. Allein die Tatsache, dass die Menschen nach Kanada gekommen sind, wird als Beweise dafür genommen, dass das Leben in Kanada besser sei als anderswo, ohne irgendwelche wirtschaftlichen, politischen, persönlichen, oder andere Hintergründe in Betracht zu ziehen. Dies zeigt, dass der Bürgermeister lediglich daran interessiert ist, sein Argument der kanadischen Überlegenheit zu unterstreichen.
12. Vermeintliche Bezugnahme auf den Anfang
Zum Schluss versucht der Bürgermeister mit einem rhetorischen Kniff noch einmal, die bisher vorgebrachten muslimfeindlichen Parolen in Zusammenhang mit dem ursprünglichen Thema zu bringen, was durch eine vermeintlich echte Frage passiert. Tatsächlich ist es eine rhetorische Frage, die er auch gleich in seinem Sinne beantwortet.
Stellen Sie sich die Frage nur einmal. Warum ist es hier in Kanada besser als dort wo Sie herkommen. Eine Kantine mit Schweinefleisch ist ein Teil der Antwort.
FAZIT
Der Text ist muslimfeindliche Propaganda. Ein erfundenes Ereignis mit der erfundenen Reaktion eines Bürgermeisters wird als Paradebeispiel für eine vermeintlich gute politische Lösung in den sozialen Netzwerken geteilt. Dass es hier nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit dem Text sondern um Verbreitung und Zustimmung geht, wird auch durch die in das Video integrierte Überschrift deutlich: „So müsste auch Deutschland reagieren“.
Es ist also kein zufälliges Produkt, sondern ein inszeniertes Stück Fake News. Dazu gehört auch die teilweise etwas holprige Sprache, die zunächst einen Übersetzungsfehler vermuten lässt, möglicherweise aber bewusst platziert wurde um die vermeintliche Authentizität des Videos zu unterstreichen.
Das Video richtet sich eindeutig gegen Muslime, soll Ressentiments gegen sie schüren, herablassende Sprache gegen sie normalisieren, ihre Entindividualisierung fördern und die eigene westliche Identität in Abgrenzung zu Muslimen und anderen als fremd wahrgenommenen Menschen stärken.
Deshalb bitte ich Sie: Wenn Sie das Video in ihrem Social Media Feed sehen, benennen Sie es als Fake News und rechte Propaganda. Weisen Sie auf die Herkunft hin. Sprechen Sie über die offenen und unterschwelligen fremdenfeindlichen Argumente. Wer sich der manipulativen Mechanismen bewusst wird, kann sich ihrem Einfluss leichter entziehen. In diesem Sinne: Bleiben Sie kritisch und aufgeschlossen.