Lesen lernen wir eigentlich alle in der ersten Klasse. Ich erinnere mich noch, dass es mich immer ganz fuchsig gemacht hat, „mmmm“ und „lllll“ sagen zu müssen, anstatt „em“ und „el“. Ich war erleichtert, als endlich alle Buchstaben unseres Magnetalphabets aufgedeckt waren und wir keine neuen verkrüppelten Buchstaben mehr lernen mussten. Seitdem kann ich lesen, oder dachte zumindest, Lesen zu können.
Doch seit ich eine Lesung veranstalten will, bin ich mir dessen nicht mehr ganz sicher!
Eine Lesung ist anders
Es geht damit los, dass ein Text, der sich in meinem Kopf kurzweilig und spannend anhört, plötzlich zäh und langweilig wird, wenn ich ihn laut vorlese. Dabei gehöre ich zu den Vorleseprofis! Jeden Abend, jeden Tag … also wenigstens einmal am Tag lese ich meinen Kindern vor. Dabei handelt es sich um Bilderbücher, Kinderbücher und seit Neuestem auch Comics. Heute war zum ersten Mal ein Lucky Luke Comic dran und mir ist sogar das ein oder andere „zack“ und „poff“ über die Lippen gekommen. Die Kinder haben sich jedenfalls noch nie über meine Art vorzulesen beklagt.
Pippi Langstrumpf auf der Couch ist eben doch etwas anderes als Die Optimierer auf der Bühne
Die Buchpremiere ist ja keine reine Autorenlesung. Ich lese nicht alleine und auch nicht alles, wie es im Buche steht. Gemeinsam mit mir werden zwei befreundete Schauspieler auf der Bühne sitzen und mit verteilten Rollen lesen.
Jetzt wird geprobt
Vor zwei Tagen hatten wir unsere erste Textprobe Leseprobe, bei der es nur darum ging, richtig vorzulesen. Ich dachte, das geht sicher schnell, da ich ja Vorleseexperte bin! Doch weit gefehlt: Wenn ich vorlese hört sich das etwa so an: didel di didel di didel di dumm, didel di didel di didel di dei. Das wird nach spätestens 3 Sätzen stinklangweilig. Stattdessen muss ich ab jetzt vorher wissen, was im nächsten Satz passieren wird, eine innere Haltung dazu annehmen und diese Haltung dann dem Zuhörer transportieren. Handelt es sich um Fakten oder Interpretationen? Sind es Sidenotes oder Schlüsselinformationen? Wie halte ich die Spannung am besten? Dafür gibt es die Übung, sich ein Gummiband vorzustellen, das mit den Worten und der Körpersprache auf Spannung gehalten wird. Oder man versucht sich ein Gewicht vorzustellen, dass man langsam auf dem Finger nach vorne schiebt, um die innere Anspannung zu halten.
Ich merke plötzlich, dass ich ein blutiger Anfänger bin! Ich lese einen Satz und nehme gleich den Stift zur Hand, um ihn zu streichen da er mir banal und unwichtig erscheint. Tina Schmiedel liest den gleichen Satz und plötzlich möchte ich, dass er auf jeden Fall drin bleibt und sie ihn vorliest. Immer und immer wieder lässt sie mich die gleichen Sätze lesen, stellt Fragen, lässt mich den Inhalt erklären, meine Haltung dazu überprüfen. Was ist es, was ich da erzähle, warum erzähle ich es, warum ist es interessant? Und egal was da steht und wie oft ich eine Pause im Vorlesefluss mache: Ich muss die innere Spannung halten, um auch den Zuschauer bei der Stange zu halten.
Das Ende vom Lied
Nach ein paar Stunden ist klar: Bis zur nächsten Probe muss ich eine ganze Menge Hausaufgaben machen! Und wie das so ist bei mir, wenn ich etwas machen muss: Ich übertreffe mich in Arbeitsvermeidungsstrategien, was auch der Grund ist, weshalb dies schon der zweite Blogeintrag an diesem Tag ist.