Ich habe schon einmal in einem früheren Blogbeitrag erwähnt, dass es ein geisterhaftes Zitat in meinem Kopf gibt: „Es ist egal, was du schreibst, Hauptsache, es ist wahr.“ – wobei sich der Wahrheitsgehalt auf die Wiedergabe des Seelenlebens des Autors bezieht.
Ich weiß also ziemlich gut, was mit diesem Kommentar gemeint ist, nur leider weiß nicht nicht mehr, wer/wann/warum und sogar OB es überhaupt jemand gesagt hat, der des Zitierens würdig ist. Ich dachte immer an Kafka oder Tucholsky doch meine intensive Google Recherche führte leider zu nichts. [EDIT 1.8.18 –> hier ist das Zitat!]
Sei’s drum! Bisher bin ich ganz gut damit gefahren, eben nichts Wahres zu schreiben. Die Optimierer war geradezu der Versuch, etwas zu schreiben, das so wenig wie möglich mit meinem realen Leben zu tun haben sollte, weil ich mich eben aus der Realität flüchten wollte. Also schrieb ich über einen Mann in der Zukunft in einer „perfekten“ Gesellschaft. Meine eigene Lebenssituation war: Frau, Mutter, erstes Kind auf der Welt = Absolutes Chaos.
Das mit „Die Optimierer“ hat ganz gut funktioniert. Das zweite Buch (ich verwende die Aufzählung, obwohl sie streng genommen nicht richtig ist, denn vor den Optimierern habe ich bereits 4 Geschichten geschrieben, die ob ihrer Länge rein kategorisch Romane sind, wegen ihrer krassen Schwächen aber niemals den Weg in die Öffentlichkeit finden werden) ging auch ganz gut, denn dort verarbeite ich ein Thema, das mich zwar – auch persönlich – sehr interessiert, mich aber persönlich nicht TRIFFT. Ich erzähle also keine Wahrheit aus meinem Seelenleben, sondern verarbeite nur ein Thema, das mich immer wieder beschäftigt.
Anders ist es nun mit meinem neuen Projekt, dem Buch Nr. 3, das sich schon seit einer ganzen Weile in meinem Kopf manifestiert hat und einfach geschrieben werden muss. Ich war mir nicht sicher, ob jetzt schon der richtige Zeitpunkt dafür ist, es zu schreiben, aber nachdem ich nun angefangen habe, kann ich nicht mehr aufhören. Jetzt ist es also so: Ich schreibe am dritten Buch und im Gegensatz zu allen vorherigen Projekten, die immer konkreter wurden, mir aber dennoch einen ziemlich großen Schreibspielraum ließen, weiß ich hier GENAU, was ich schreiben werde –weil es eben sehr persönlich ist.
Und das macht mir Angst.
So notwendig es ist, zu schreiben, was wahr ist, so sehr fürchte ich mich auch davor. Denn wie sollte ich nach dem Schreiben mit der handwerklichen Kritik, mit dem Lektorat umgehen, wo doch das was ich schreiben will, nicht bloß irgendeine Geschichte ist? Man stelle sich vor, man schriebe ein Tagebuch und dann käme einer mit dem Rotstift daher und würde die dringlichsten Gefühle korrigieren.
Natürlich wird mein Buch kein Tagebuch, dafür lebe ich einfach in zu banalen Verhältnissen. Aber es kann durchaus sein, dass sich Menschen in meiner Umgebung an Personen oder Ereignisse erinnert fühlen werden, die sie gemeinsam mit mir erlebt haben… was, wenn sie mich danach fragen? Wenn ich mich rechtfertigen muss?
Denke ich mir einen völlig abgedrehten Plot in der Zukunft aus, wird die Rechtfertigung ganz einfach sein: alles ausgedacht. Aber wenn ich von der Vergangenheit erzähle? Von Begebenheiten die sich so oder so ähnlich abgespielt haben oder hätten abspielen können? Wie viel Wahrheit darf ich erzählen, ohne selber in Erklärungsnot zu kommen? Wie viel Wahrheit darf ich als Autorin schreiben, wenn ich als Person mit der Lüge eigentlich ganz gut zurecht komme?
Es gibt noch etwas, das mich beschäftigt: ich weiß, dass die Erinnerung ein lebendiges Wesen ist. Niemals erinnern wir uns an eine Begebenheit vollkommen gleich. Jedes Mal, wenn wir an sie denken, verändern wir sie damit. Wenn ich also nun Wahres schreibe, aber in meine Geschichte auch Erfundenes hineinwebe, werde ich dann die Erinnerung an die Wahrheit verlieren und irgendwann die Version glauben, über die ich geschrieben habe?
Und dann noch eine Sache: Ich zögere, darüber zu schreiben, denn dann muss ich mich damit beschäftigen. Es sind aber aus gutem Grund Dinge, die ich gerne in der letzten Ecke meines Bewusstseins belassen habe, die ich nicht gerne ans Licht zerre, und mit denen ich mich eigentlich nicht auseinandersetzen möchte. Aber nun, wenn ich darüber schreibe, muss ich es schreiben, lesen, immer wieder lesen und korrigieren und am Ende vorstellen, darüber reden und vielleicht sogar vorlesen. Vielleicht wäre es am Besten, das Buch würde geschrieben und dann niemals gelesen… aber was bin ich dann noch für eine Schriftstellerin? Dann könnte ich ja doch beim Tagebuch bleiben!
Oder aber – und hier kommt der hoffnungsvolle Ausblick – es kommt ganz anders: Vielleicht löst sich durch das Schreiben der Knoten und das Thema wird für mich endgültig zu einer Geschichte und damit genauso Fiktion wie alle anderen Geschichten auch und das Trauma hat ein Ende… wollen wir es hoffen.
Denn so oder so: Schreiben werde ich!
Dafür!