Bei der Tagung „Science & Fiction“ der RWTH Aachen, unterstützt von der Joachim Herz Stiftung durfte ich miterleben, wie engagiert, interessiert und voller Ideen die wissenschaftliche Community an den Fragen der Zukunft forscht, arbeitet und sich austauscht. Ob Astrophysik, KI, Neurowissenschaften, Klimaforschung oder Biochemie, sie alle und noch viel mehr waren da, um über die eine Frage zu sprechen, die uns alle beschäftigt: In welcher Zukunft wollen wir leben?
Bevor diese Frage fachlich diskutiert wurde, waren die Teilnehmenden eingeladen, sich in Workshops von Isabella Hermann, Georg Jänchen , Karlheinz Steinmueller, Martin A. Ciesielski und mir die Zukunft fiktional, emotional und sogar körperlich zu erarbeiten.
In meinem Workshop konnten die Teilnehmer*innen utopische Mini-Szenarien entwickeln. Ziel war nicht, möglichst realistische Zukünfte vorherzusagen, sondern auf kreative Art und Weise – gerne auch satirisch, grotesk oder überzeichnet – positive Alternativen zu den negativen Erzählungen zu finden, die in herkömmlichen dystopischen Narrativen unsere Literatur, Filme, Spiele – und damit unsere Gedankenwelt dominieren.
Dabei identifizierten die Teilnehmer*innen zunächst die Themenfelder und Probleme, die für sie am wichtigsten waren und entwickelten dann mit den von mir vorgestellten Schreibtechniken eigene utopische Mini-Szenarien, die ich hier kurz vorstellen möchte:
- Veraltetes Bildungssystem
Bildung ist ein Thema, das die meisten von uns nur beschäftigt, so lange sie selbst oder ihre Kinder in der Schule/Ausbildung sind. Aber das muss nicht so sein.
In dieser Gruppe skizzierten die Teilnehmenden eine Bildungsutopie, in der die Menschen ohne Altersbegrenzung ein Leben lang lernen. Und zwar nicht in geschlossenen Klassenzimmern, sondern projektorientiert draußen in der Natur, in Lerncommunities, die sich auf bestimmte Themen spezialisieren. Es gibt keine straffen Hierarchien mehr, sondern Lernen und Lehren wird im gemeinsamen Austausch und projektorientiert umgesetzt. - Ungerechte Verteilung von Finanzmitteln
Auf die Frage, wie die ungleiche Verteilung von Finanzmitteln verbessert werden kann, fand diese Gruppe verschiedene Antworten, die sich nicht nur mit dem naheliegenden Reichtum (in Form von Geld) beschäftigten, sondern auch mit Zeit, Ressourcen und Produktionsmitteln. Eine Reichensteuer soll eingeführt werden, genauso wie eine Pflicht zum Zivildienst. Wie die zusätzlichen Steuereinnahmen verwendet werden, entscheiden nicht Politiker*innen, sondern Kinderparlamente (bis 16 Jahre)! So werden Verantwortung und Mitbestimmung für diejenigen etabliert, die in unserer jetzigen Gesellschaft meist ungehört bleiben. - Fake News
Desinformationen schüren Unsicherheit und destabilisieren die Demokratie. Denn ein partizipatives politisches System funktioniert nur, wenn die Teilnehmenden sich an die selbst gegebenen Regeln halten, Prinzipien achten und einander vertrauen. Deshalb sind Fake News und der damit einhergehende generelle Vertrauensverlust in Institutionen wie Staat, Presse und Zivilgesellschaft eine der größten Gefahren für die Demokratie.
Als Antwort auf die Vertrauenskrise beschäftigte sich die Gruppe also mit der Frage, wie Vertrauen in Mitmenschen und zuverlässige Informationsquellen wiederhergestellt werden können. Ein Faktencheck muss her! Und zwar über einen automatischen Mechanismus, der in die dann gängigen Kommunikationsmittel wie Brain-Chips oder Wearables integriert wird. Und das nicht nur mithilfe von KI, sondern über Gremien mit menschlichen Expert*innen, die internationales Ansehen besitzen. So wird Vertrauen zum Fundament einer neuen globalen Wir-Gesellschaft ohne Nationalgrenzen mit dem Motto „We connect in Trust“.
- Klimawandel
Eine Gruppe schreckte auch vor der Menschheitsaufgabe Klimawandel nicht zurück und fragte sich, wie eine zukünftige Gesellschaft dem steigenden Energiehunger in Zeiten des Klimawandels begegnen kann. Es wurde ein Szenario entwickelt, in dem nachhaltige Energiegewinnung und –speicherung durch superdezentrale Kollektoren So werden alle zur Verfügung stehenden Energiepotenziale aus Wind, Wärme, Solar und Bewegung nicht durch Kraftwerke, sondern durch integrierte Alltagsgegenstände wie z.B. Elektrogeräte oder Kleidung direkt genutzt und gespeichert. - Zerstörung öffentlicher Strukturen
Diese Gruppe überlegte, wie eine Gesellschaft überleben kann, wenn die derzeit wirkenden destruktiven Kräfte à la Trump und Musk an den staatlichen Institutionen nicht nur sägen, sondern diese zu Fall bringen. Wenn Rechtsstaat, Sozialstaat und Demokratie erst einmal auseinandergebrochen sind, wie geht es dann – positiv! – weiter?
Die Gruppe zeichnete trotz der düsteren Ausgangssituation ein hoffnungsvolles Bild einer sich wieder findenden Gesellschaft, von pilzartig wachsenden Strukturen der gegenseitigen Solidarität und Wertschätzung. Der Staat zieht in Form von „nomadischen Behörden“ durch das Land und bietet „Staat as a service“ an.
Vielen Dank an alle Teilnehmer*innen für eure inspirierenden, hoffnungsvollen, manchmal grotesken, aber immer interessanten Ideen und Szenarien!
Außerdem ein herzlicher Shoutout an die RWTH Aachen für die tolle Veranstaltung, Charlotte Tuschinski und ihr Team für die hervorragende Organisation, die Joachim Herz Stiftung für die Unterstützung, das großartige Moderationsduo Elena und Martin, das die Gruppe mit Witz und Begeisterung durch die Tagung begleitet hat und alle Expertinnen und Experten, die diesen Tag mit so vielen wichtigen – und auch kritischen! – Ideen zu einer echten Bereicherung gemacht haben.
Foto: (c)4strat GmbH